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TCE-Blog

09. September 2020 · Aktuelles

Langfristige Wirkung der Behandlung und die Zufriedenheit der Patientinnen untersucht

Im Rahmen der Doktorarbeit von Federica Salvati unter der Betreuung durch Professor Dr. Jörn von Wietersheim von der Universitätsklinik Ulm wurden die Verlaufsdaten von 130 Patientinnen ausgewertet, die zwischen Januar 2015 und Dezember 2017 im TCE in Behandlung waren. Zusätzlich wurden mit 26 Patientinnen zwei Jahre nach der Therapie telefonische Interviews geführt, um die langfristige Wirkung der Behandlung und die Zufriedenheit der Patientinnen mit der Behandlung zu überprüfen.

Die untersuchten Patientinnen waren zwischen 16 und 25 Jahre alt und bei Aufnahme ins TCE durchschnittlich 3,25 (+/- 2,61) Jahre krank. Rund zwei Drittel litten an einer Anorexia nervosa (AN), rund 20 Prozent an einer Form der Bulimie (BN) und jeweils rund 7 Prozent an einer Atypischen Anorexia nervosa (Atyp. AN) oder einer anderen Essstörung (Binge-Eating-Störung, nicht näher bezeichnete oder sonstige Essstörung). Rund 60 Prozent aller Patientinnen litten an mindestens einer zusätzlichen komorbiden Störung, wobei eine Zusatzdiagnose mit rund 70 Prozent am häufigsten in der Gruppe der Patientinnen mit Bulimia nervosa vergeben wurde, gefolgt von den Patientinnen mit Anorexia nervosa (rund 60 Prozent).

In allen vier Diagnosegruppen (AN, BN, Atyp. AN und Sonstige Essstörungen) führte die Behandlung zu einer deutlichen Besserung der essstörungsspezifischen Symptomatik. Die Patientinnen mit Anorexia nervosa und Atypischer Anorexia nervosa nahmen im Verlauf statistisch signifikant und mit großer Effektstärke zu, und zwar für die Anorexia nervosa von einem durchschnittlichen BMI von 15,5 kg/m² (hochgradiges Untergewicht) und für die Atypische Anorexia von einem durchschnittlichen BMI von 17,9 kg/m² (leichtgradiges Untergewicht) zum Zeitpunkt der Aufnahme auf einen durchschnittlichen BMI von 19,1 kg/m² bzw. 21,2 kg/m² (beides Normalgewicht) zum Zeitpunkt der Entlassung. Die Gewichte der Patientinnen mit Bulimia nervosa oder sonstigen Essstörungen lagen bei Aufnahme in der Regel im Normalgewicht und veränderten sich durch die Behandlung nicht signifikant, d.h. es konnte im Schnitt eine Gewichtsstabilisierung erzielt werden.

Auch die Werte im Eating Disorder Evaluation Questionnaire (EDE-Q) und im Eating Disorder Inventory (EDI-2) zeigten signifikante Verbesserungen. Besonders hohe Effektstärken wiesen dabei die Skalen Restraint (restriktives Essverhalten), Eating Concern (Essenssorgen) und Schlankheits­streben auf. Dies könnte ein Hinweis auf die besondere Wirksamkeit des strukturierten Esskonzepts des TCE sein. Die höchsten pathologischen Ausgangswerte hatten unsere Patientinnen auf den Skalen Shape Concern (Figursorgen) sowie Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. Die Therapie erzielte hier positive Veränderungen mit großer Effektstärke für alle Patientengruppen, allerdings lagen die Skalen auch bei Entlassung noch im auffälligen Bereich. Dies deckt sich mit der auch in anderen Studien gefundenen Beobachtung, dass die Körperschemastörung sich in der Therapie von Essstörungen als besonders schwerwiegendes und langwieriges Symptom erweist, das einer langfristigen Behandlung bedarf. Aus diesem Grund empfehlen wir all unseren Patientinnen im Anschluss an die Therapie im TCE dringend eine weiterführende ambulante Psychotherapie.

Im Laufe der Therapie zeigte sich eine beeindruckende Reduktion der depressiven Symptomatik, zum Teil wurden die Werte im Beck Depressions Inventar zwischen Aufnahme und Entlassung auf die Hälfte oder gar auf ein Drittel reduziert. Auch die allgemeine psychopathologische Belastung unserer Patientin durch nicht esstörungsspezifische Symptome wie Ängste, Zwänge oder Somatisierung war am Ende der Therapie signifikant verringert. Die Effekte sind hierbei größer als in vergleichbaren Studien. Die Therapie am TCE führt also nicht nur zu einer Verbesserung der Essstörungssymptomatik, sondern auch zu einer deutlichen Verbesserung der Begleitsymptomatik und der komorbiden Störungen.

Die 26 Patientinnen, die im Telefoninterview befragt wurden, unterschieden sich in allen wesentlichen Parametern nicht von der großen Stichprobe, können also als „Stichprobe aus der Stichprobe" betrachtet werden. Der mittlere BMI betrug zum Zeitpunkt der Katamnese 20,5 kg/m², eine differenzierte Analyse nach Diagnose und Ausgangsgewicht wurde von Federica Salvati allerdings nicht vorgenommen. Rund 62 Prozent der Patientinnen gaben an, keinerlei gewichtsreduzierende Maßnahmen mehr durchzuführen. 27 Prozent benannten eine gewichtsreduzierende Maßnahme, die restlichen 11 Prozent kombinierten zwei oder mehr Maßnahmen. Am häufigsten wurden hierbei Kalorienrestriktion und Erbrechen genannt. Dies ist insgesamt ein deutlicher Hinweis auf den anhaltend positiven Einfluss der Therapie.

Rund 70 Prozent der befragten Patientinnen berichteten keinerlei Essanfälle mehr. Von den Patientinnen, die weiterhin Essanfälle berichteten, hatten rund 37 Prozent nur noch einmal die Woche oder seltener einen Essanfall, erfüllten also nicht mehr das entsprechende diagnostische Kriterium laut ICD-10.

Rund drei Viertel aller befragten Patientinnen waren im Rückblick zufrieden mit dem Aufenthalt im TCE. (Weitere 15 Prozent äußerten sich neutral, nur 10 Prozent waren unzufrieden.) Als positive Einflussgrößen wurden besonders häufig die gegenseitige Unterstützung in den Wohngruppen, das Phasenmodell und das vielfältige Therapieangebot, die therapeutische Kompetenz und das strukturierte Essprogramm genannt.

 

Bildnachweis: Adobe Stock

Über die Autorin

Dr. Karin Lachenmeir ist Psychologische Psychotherapeutin und seit 2002 im TCE tätig, seit 2008 als Leiterin der Einrichtung. Sie ist approbierte Verhaltenstherapeutin und hat Weiterbildungen in Körpertherapie und Systemischer Beratung absolviert. Seit 2011 ist sie zudem als Dozentin und Supervisorin für verschiedene Münchner Weiterbildungsinstitute tätig. Am TCE hat sie die Verantwortung für alle personellen, organisatorischen und fachlichen Fragen. Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten lesend oder schreibend, auf ausgedehnten Spaziergängen, im Kino, im Theater oder auf Reisen.