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TCE-Blog

30. Dezember 2020 · Aktuelles

Gedanken zum Ausklang eines ungewöhnlichen Jahres

Puh, das war vielleicht ein Jahr! Es fing ganz vielversprechend an, mit unseren Info-Abenden, unserer Nachbetreuung, unseren Angehörigenveranstaltungen, unseren Live-Music-Now-Konzerten und den Vernetzungsterminen mit den anderen Behandlungseinrichtungen für Essstörungen in München. Und dann kam Corona.

Von heute auf morgen sahen wir uns gezwungen, die Schotten dicht zu machen. Das Jugendteam musste vorübergehend ganz aussetzen, die Familien wurden für eine Weile nur telefonisch betreut. In der Gruppe der älteren Patientinnen wurden Familienbesuche, Wochenendheimfahrten und jede Form der Alltagserprobung eingestellt, Info-Abende und Angehörigenveranstaltungen wurden gestrichen, Erstgespräche nur noch telefonisch geführt. Nur die Therapie vor Ort lief für die 16- bis 25-Jährigen wie gewohnt weiter, ergänzt durch einige zusätzliche, ressourcenorientierte Veranstaltungen, insbesondere zu Ostern.

Diese Einschnitte waren schwerwiegend. Dennoch habe ich diese Zeit im Frühjahr zugleich seltsam verwunschen in Erinnerung. Die Straßen und Plätze waren leer, eine herrliche Frühlingssonne erhellte unsere Tage, und wenn ich morgens mit dem Fahrrad zur Arbeit fuhr, musste ich mir wenigstens keine Sorgen machen, von unachtsamen Autofahrern übersehen oder von rasenden Rennradlern aus dem Weg geklingelt zu werden. Alles war friedlich und still. Und im TCE blühte ein erstaunlicher Gruppengeist.

Noch heute bin ich beeindruckt davon, wie gut unsere Patientinnen diese schwierige Zeit gemeistert haben, wie sehr sie zusammengerückt sind und sich gegenseitig unterstützt haben. Das galt auch für die Jüngeren, als diese wieder zur Therapie ins TCE kommen durften.

Dann kam der Sommer, und die Situation entspannte sich. Zwar blieben sämtliche Vernetzungstreffen weiter ausgesetzt oder fanden nur noch online statt und auch unser Sommerfest und den Tag der offenen Tür mussten wir dieses Jahr absagen. Die Patientinnen konnten ihre Alltagserprobung jedoch wieder aufnehmen, auch Info-Abende und Angehörigenveranstaltungen wurden wieder angeboten, wenn auch mit verminderter Teilnehmerzahl und unter erhöhten Sicherheitsauflagen – ich sage nur: „AHA!" Wir verlegten sämtliche Therapien und Veranstaltungen in unseren großen Gruppenraum und arbeiteten fast nur noch bei geöffneten Terrassentüren. In dieser Zeit fühlte sich die Arbeit im TCE trotz allem beinahe schon wieder normal an.

Leider blieb das nicht so. Im Herbst stiegen die Fallzahlen wieder rasant an. Angesichts unserer hohen Sicherheitsbestimmungen und den eher vorsichtigen Lockdown-Maßnahmen der Regierung versuchten auch wir, das Therapiegeschehen so lange wie möglich ungestört aufrechtzuerhalten. Doch natürlich mussten auch wir im November wieder strengere Maßnahmen ergreifen, zum Beispiel die Besuchsregelungen einschränken beziehungsweise aussetzen oder unsere Nachbetreuung absagen. Da auch im TCE einzelne Patientinnen vom Gesundheitsamt in Quarantäne geschickt wurden, betreuten wir diese telefonisch. Fast alle konnten nach der Quarantäne ihre Therapie ungestört fortsetzen.

Was wir schon seit Sommer und vermehrt im Herbst deutlich wahrnahmen, war die wachsende Zahl an Betroffenen mit einer Essstörung, deren Erkrankung während des Lockdowns im Frühjahr begonnen oder sich deutlich verschlimmert hatte. Unser Telefon stand gar nicht mehr still und unsere Warteliste wurde immer länger. Der Wegfall von sozialen Kontakten, Ressourcen und einer festen Tagesstruktur brachte viele junge Menschen aus dem Gleichgewicht. Die Idee, die freie Zeit für eine Ernährungsumstellung oder vermehrte Bewegung zu nutzen, erwies sich für viele von ihnen als fatal.

Und so verabschiede ich dieses Jahr mit gemischten Gefühlen. Es vergeht keine Woche, in der wir uns nicht über weitergehende Sicherheitsmaßnahmen beraten oder bestehende Hygienekonzepte überprüfen, immer mit dem Ziel, den hohen Standard unserer Therapie auch unter Corona-Bedingungen aufrechtzuerhalten.

Mir hilft es dabei, mich an der Weisheit der alten Stoiker zu orientieren: Manche Dinge unterliegen unserer Kontrolle, andere nicht. Wir können nur in den Bereichen, die wir tatsächlich kontrollieren können, unser Bestes geben. Alles andere müssen wir akzeptieren und können nur versuchen, uns unsere Ruhe und Gelassenheit zu bewahren. Mir hilft es, diese Zeit, in der die äußeren Kontakte und Erlebnisse so deutlich reduziert sind, für stille Momente zu nutzen, zum Schreiben oder zum Meditieren, und die wenigen Kontakte, die geblieben sind, umso mehr zu genießen und wertzuschätzen. Wenn es ein besonderes Geschenk gab, das dieses Jahr bereitgehalten hat, so war es die Dankbarkeit für jede Form von Gemeinschaft, die ich erleben durfte.

Was bleibt, ist Zuversicht. Die begründete Hoffnung, dass 2021 eine positive Wendung nehmen wird, dass wir uns alle irgendwann wieder von Angesicht zu Angesicht begegnen können und eine Umarmung nicht mehr mit einer existenziellen Risikoabwägung einhergehen muss.
In diesem Sinne wünsche ich Euch allen ein hoffnungsvolles, gesundes und glückliches neues Jahr 2021!

 


Bildnachweis: Adobe Stock

Über die Autorin

Dr. Karin Lachenmeir ist Psychologische Psychotherapeutin und seit 2002 im TCE tätig, seit 2008 als Leiterin der Einrichtung. Sie ist approbierte Verhaltenstherapeutin und hat Weiterbildungen in Körpertherapie und Systemischer Beratung absolviert. Seit 2011 ist sie zudem als Dozentin und Supervisorin für verschiedene Münchner Weiterbildungsinstitute tätig. Am TCE hat sie die Verantwortung für alle personellen, organisatorischen und fachlichen Fragen. Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten lesend oder schreibend, auf ausgedehnten Spaziergängen, im Kino, im Theater oder auf Reisen.