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TCE-Blog

24. Februar 2021 · Erfahrungsbericht

Die Sicht der Eltern und der Weg zum TCE

Natürlich sollen und müssen die betroffenen Mädchen und Jungen mit ihrer lebensgefährlichen Erkrankung einer Essstörung im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Dies ist gar keine Frage. Aber es darf nicht außer Acht geraten, dass sich alle Familienmitglieder in einem Ausnahmezustand befinden. Die Veränderungen in der familiären Gemeinschaft sind ebenso schleichend wie die psychosozialen und körperlichen Veränderungen bei dem eigenen mit einer Essstörung betroffenen Kind.
Wenn der Punkt erreicht ist, dass das gesundheitliche Problem der Kinder nicht mehr zu leugnen oder schönzureden ist, stellt sich sehr schnell eine Hilflosigkeit im Familienverbund ein. Denn meist sind jegliche elterlichen Ansätze zur Hilfe zum Scheitern verurteilt, weil Sorge, Unkenntnis oder fehlendes Verständnis für die Erkrankung und ihre zugrundeliegenden Ursachen dem im Wege stehen.

Allein das Gefühl des elterlichen Versagens lastete auf unserem familiären Zusammenleben schwer. Auch spürten wir, dass unsere elterlichen Unterstützungsversuche nicht nur nicht halfen, sondern dass ihr regelhaftes Scheitern auch die notwendige Kommunikation und das Vertrauen aufs Äußerste belasteten. Diese gespürte und erlebte Hilflosigkeit verändert das Zusammenleben als Familie und bürdet jedem eine große Last der Unsicherheit auf. Genau in dieser Situation mussten wir uns als Familie eingestehen, dass wir es alleine nicht schaffen, unsere Tochter aus der potentiell tödlichen Abwärtsspirale zu befreien. Die Einsicht, dass wir als Eltern unsere Tochter vor einer Essstörung nicht hatten beschützen können und dies auch jetzt mit ihrer Erkrankung immer noch nicht konnten, zehrte die letzte Hoffnung auf. Uns war klar, wir brauchen externe Hilfe, und zwar bald.

Die Frage ist jetzt, wie wir auf das TCE aufmerksam wurden?
Wie heutzutage üblich, bekamen wir einen ersten Überblick durch das Internet. Mehrere Adressen in München und ganz Bayern haben wir herausgefunden. Nachdem sich der Gesundheitszustand unserer Tochter dramatisch verschlechterte, hatten wir am Pfingstmontag mehrere Kliniken via E-Mail hilfesuchend kontaktiert und in zwei bis drei Sätzen beschrieben, in welcher Situation sich unsere Tochter gerade befand.
Bereits am folgenden Tag klingelte bei uns das Telefon: „Hier ist Frau XY vom TCE München, sie hatten sich gestern bei uns gemeldet. Wie können wir helfen?" In einem sehr informativen Gespräch wurde uns aufgezeigt, wie es um unsere Tochter gerade stand und welche therapeutischen Möglichkeiten sich daraus ergeben sollten. Wir zeigten uns überrascht über die sofortige Kontaktaufnahme durch das TCE, ohne dass sich daraus ein echtes Anwerbegespräch für eine potentiell neue Patientin ergeben hätte. Auf die Frage, ob dieses Vorgehen denn üblich sei, bekamen wir folgende Antwort, die uns bis zum heutigen Tage rührt und beeindruckt: „Bei dem geschilderten Gesundheitszustand Ihrer Tochter ist ein Aufschub eines helfenden Gesprächs nicht verzeihlich." Wir staunten nicht schlecht.

Nur drei Tage später eskalierte die gesundheitliche Lage bei unserer Tochter eklatant, sodass wir keinen anderen Ausweg sahen, als unsere Tochter akutstationär in einer Klinik unterzubringen. Wir erinnerten uns an das Telefonat mit dem TCE und an das Angebot, dass wir uns bei jeglichem Problem unbürokratisch melden dürften. Wir sprachen an einem Freitag, außerhalb der sonst üblichen Geschäftszeiten, auf den Anrufbeantworter des Therapiezentrums. Wenige Minuten später erfolgte der Rückruf und es wurde uns empfohlen, noch am selben Tag – also am späten Abend – in der Kinderklinik des Klinikums Dritter Orden München vorstellig zu werden. Wir seien dort schon angemeldet und die Mannschaft vor Ort wisse bereits Bescheid. Und genau so war es beim Eintreffen in der Notaufnahme dann auch.
Nach vielen Monaten konnten wir nun erstmals unsere Verantwortung, der wir aber gefühlt nicht gerecht werden konnten, mit anderen teilen – trotz aller Sorge eine wohltuende Entlastung. Während der nun folgenden zweiwöchigen Akutbehandlung in der Klinik übernahm das TCE eine strukturierte Mitbetreuung. Uns war sofort klar, dass dies der Weg wäre, den wir so lange gesucht hatten. Nach anfänglichen Akzeptanzproblemen bei unserer Tochter, den Weg nicht alleine schaffen zu können, stimmte sie dann doch letztendlich zu. Welch' Glück für uns alle!

Übrigens: in unserem Fall haben fast alle der anderen von uns angeschriebenen Kliniken auf unseren Hilferuf nicht reagiert – oh ja, da waren sehr namhafte darunter. Nur eine Klinik hatte sich gemeldet. Bei ihr hätten wir einen ambulanten Vorstellungstermin in „fernen" zwei Monaten erhalten. Da hatten uns längst die Komplikationen dieser schrecklichen Erkrankung eingeholt und schnelles Handeln gefordert. Bei den anderen Kliniken hatten wir dann trotzdem noch telefonisch nachgefragt. Die Reaktionen waren nicht hilfreich, sondern eher erschreckend: „Nicht ‚privatversichert', dann ist die Wartezeit drei bis sechs Monate", „Wissen Sie, wegen Corona können wir aktuell gar niemanden aufnehmen. Laden Sie sich doch die Fragebögen herunter, nach deren Zusendung werden wir Sie kontaktieren." Letzteres ist bis heute nicht passiert.
Fazit: Das TCE mit seinem gesamten hochmotivierten interdisziplinären Team ist für unsere Tochter und die gesamte Familie ein Glücksfall und ein großer Segen. Wir als Familie sagen ein ganz großes ‚DANKE'.

 

 

Bildnachweis: Adobe

Über der Autor

Vater einer 17-jährigen, ehemaligen Patientin des TCE