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26. Januar 2022 · Kulturtipps

Film „To the bone" – Realitätsnah oder Fiktion?

Filme gibt es ja grundsätzlich sehr viele, Filme zum Thema Essstörungen sind hingegen nicht so zahlreich. Ich habe mir mal einen der Bekannteren unter ihnen, die 2017er Produktion „To the bone", genauer angeschaut, vor allem, weil ich wissen wollte, ob die Darstellung von Essstörungen im Film wohl realitätsnah ist und auch, wie die Therapie im Film funktioniert. Gibt es vielleicht sogar Parallelen zum TCE?

Ganz am Anfang des Films wird eine Szene aus einer Gruppentherapie gezeigt, in der die Darstellung von Diäten in den Medien und ihre Auswirkungen diskutiert wird. Eine der Teilnehmerinnen bemerkt, dass übergewichtige Frauen vor einer Diät als unglücklich dargestellt werden, schlanke Frauen nach der Diät hingegen als glücklich und beliebt. Aus meiner Sicht schon mal ein sehr wichtiger Aspekt, den wir mit seinen Auswirkungen auch am TCE häufig diskutieren. Die an Anorexie erkrankte Protagonistin des Films zeigt allerdings in der Gruppentherapie therapiestörendes Verhalten, das heißt sie arbeitet nicht mit und beeinflusst andere Teilnehmerinnen negativ, sodass ihre Therapie zunächst beendet wird. Auch das erscheint mir durchaus realistisch, so ist doch Therapie am Anfang für viele Betroffene schwierig und ungewohnt und manchmal auch gar nicht gewünscht.

Was mir als Nächstes auffällt, ist die Darstellung typischer Symptome einer Essstörung. Die Protagonistin macht Sit-ups in ihrem Zimmer, von denen sie bereits blaue Flecken im Bereich der Wirbelsäule davonträgt. Sie zählt bei jedem Essen Kalorien und weiß bereits auswendig, wie viele davon in jedem Lebensmittel enthalten sind. Vor dem Wiegen trinkt sie im Bad Wasser aus dem Wasserhahn, um auf der Waage schwerer zu sein. Außerdem berichtet sie, dass ihre Periode bereits seit Langem ausgeblieben ist. Die Symptome werden aus meiner Sicht zwar recht skizzenhaft beschrieben, der Film deckt aber durchaus ein breites Spektrum essstörungsspezifischer Symptome ab und kann hier zumindest einen ersten Überblick geben. An dieser Stelle muss ich sagen, dass die Darstellung der Symptome aus meiner Sicht ein zweischneidiges Schwert ist: einerseits finde ich es wichtig, diese realitätsnah herauszuarbeiten und so auch zu einer Sensibilisierung von Nicht-Betroffenen beizutragen, andererseits berichten uns auch viele Betroffene, dass solche Darstellungen auch als sogenannte Trigger fungieren können, das heißt, dass Betroffene überhaupt erst auf entsprechende Ideen gebracht werden können.

Kommen wir zur Therapie, wie sieht diese im Film aus? Gibt es vielleicht sogar Ähnlichkeiten mit dem TCE? Zunächst einmal nimmt man als Zuschauer an einem Gespräch von Angehörigen teil, die sich im Wartebereich einer Klinik darüber unterhalten, dass sie im Vorfeld etwa sechs Monate lang auf einen Termin beim Facharzt gewartet haben. Leider erscheint mir auch das recht realistisch. Am TCE sind wir aber sehr bemüht, die Wartezeiten für ein Erstgespräch möglichst kurz zu halten und in den meisten Fällen können wir innerhalb von vier Wochen einen Termin anbieten.

Im Gespräch mit dem Klinikarzt erfährt die Protagonistin, dass ihr stationärer Aufenthalt etwa sechs Wochen dauern wird. Das wiederum scheint mir sehr kurz, in der Regel sind die Behandlungsdauern bei Essstörungen wesentlich länger. Die Therapie selber findet im Film dann in einem Haus im Grünen statt, das eher wie eine Wohngruppe und nicht so sehr wie eine Klinik wirkt. Das ist dem TCE gar nicht so unähnlich. Nicht vergleichbar sind die Aufnahmebedingungen: Die Protagonistin muss gleich am Anfang ihr Handy und andere elektronische Geräte abgeben und im ganzen Haus gibt es keine Türen, damit man nicht unbeobachtet Sport machen kann. Das ist bei uns definitiv nicht so. Unsere Patient:innen schlafen in Doppelzimmern, dürfen aber natürlich die Türen schließen, wenn sie ihre Ruhe haben wollen. Und ihre Handys dürfen sie behalten, es gibt bei uns sogar WLAN, allerdings dürfen die Handys nur in der WG oder im Aufenthaltsraum benutzt werden. Die Therapieformen sind dann wieder ähnlich: Es gibt im Film Gruppentherapie, Einzeltherapie, gemeinsame Mahlzeiten und auch Familiengespräche. Betont werden die gegenseitige Unterstützung der Patienten untereinander, Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit - auch bei uns sehr wichtige Aspekte.

Im Verlauf entschließt sich die Protagonistin dennoch zunächst, die Therapie wieder zu verlassen. Ab diesem Punkt kommen dann noch einige Situationen vor, die mir etwas befremdlich erscheinen, beispielsweise als die Mutter der Protagonistin diese mit Milch füttert wie ein Baby und die Protagonistin im Traum eine Kohletablette schluckt, die wohl Mut symbolisieren soll. Trotz dieser auf mich etwas unkonventionell wirkenden Methoden entschließt sich die Protagonistin am Ende, die Therapie weiterzuführen – sie kehrt zurück in das Haus im Grünen. Hier endet der Film und was dann weiter passiert, bleibt der Fantasie überlassen, stimmt aber zumindest hoffnungsvoll.

Fazit: für einen mainstream-tauglichen Film erscheinen mir viele essstörungsspezifische Aspekte durchaus realitätsgetreu und eindringlich dargestellt, wenngleich in der Kürze der (Film-)Zeit sicher keine ganz tiefgehende Darstellung möglich ist und auch die oft große Not der Betroffenen nur in Ansätzen erkennbar ist. Trotzdem wäre der Film aus meiner Sicht durchaus geeignet für einen kurzweiligen Einstieg in die Thematik. In Hinblick auf die Therapie habe ich tatsächlich einige Parallelen zum TCE festgestellt!
Zum Schluss noch ein Aspekt, der mir ebenfalls wichtig erscheint: Laut Medienberichten soll die Hauptdarstellerin des Films in der Vergangenheit selbst an einer Essstörung gelitten haben und für die Produktion „kontrolliert abgenommen" haben. Das wäre aus fachlicher Sicht als hochgefährlich zu beurteilen, weil dadurch die Erkrankung reaktiviert werden kann und wäre daher absolut nicht empfehlenswert.

 

 

Über die Autorin des Filmtipps

Dr. Mona Mähler ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie und seit Anfang 2020 im TCE.