Bericht Nr. 3 zu Therapieausflügen – von Simone Schiele
In manchen Fällen betrifft die Angst andere Ebenen; unabhängig von Essen, Gewicht und Figur. Eine Essstörung geht häufig einher mit sogenannten komorbiden (begleitenden) psychischen Erkrankungen. Dies sind neben häufigen Depressionen auch Angststörungen. In der Verhaltenstherapie behandelt man Angststörungen durch direkte Konfrontation mit der angstauslösenden Situation, was in jedem Fall bedeutet: raus aus dem therapeutischen Büro und rein ins „angsteinflössende Leben“. Somit ging ich im letzten Sommer mit einer sozial-ängstlichen Patientin in den englischen Garten, wo sich das Leben tummelte, um „Soziale Phobie Expositionen“ durchzuführen. Übersetzt heißt dies, ich überlege mir „Mutproben“, unterbreite sie der Patientin, erkundige mich nach der Höhe des Angstniveaus (auf einer Skala von 0 bis 100), frage Befürchtungen ab und erarbeite sinnvollere Bewertungen, womit die Patientin dann in die Situation hineingeschickt wird. Wir beginnen mit scheinbar einfachen Übungen, wie "alleine eine Strecke gehen" und "Blickkontakt zu den Passanten aufnehmen" oder "sich nach der Zeit erkundigen". Voller Erleichterung sammelte die Patientin die Erfahrung, dass NICHTS passierte. All ihre Befürchtungen traten nicht ein. Schwieriger wurde es dann mit Übungen, die auch „shame attacks“ genannt werden, d.h. sich bewusst „blöder stellen“, als man ist; sprich schamauslösende soziale Situationen aufsuchen. Nachdem wir uns in der Nähe des Siegestors in der Ludwigstrasse befanden, forderte ich meine Patientin auf, Passanten zu fragen, wo denn hier das Brandenburger Tor sei. Eine Aufgabe, die zunächst unvorstellbar für die Patientin schien. Wir erfassten die Anspannung (95%) und die Befürchtungen („Die denken dann doch, ich sei total bescheuert.“). Nachdem sie vorab schon so erfolgreich war, und sie somit der Tatendrang erfasst hatte, sprang sie schließlich von der Bank auf, und steuerte auf ein junges Paar zu. Ich beobachtete von Weitem freundliches Lächeln, Zeigen mit den Händen (auf das Siegestor), Kopfnicken und Verabschieden. Sie kam lächelnd zurück zu mir und berichtete: „Es war schon komisch, so etwas zu fragen, aber die waren total nett und haben mir gesagt, dass es das Brandenburger Tor hier in München nicht gibt, sondern das Siegestor. War gar nicht so schlimm.“
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Simone Schiele hat Psychologie in Bonn und Salzburg studiert und ist seit 2008 als approbierte psychologische Psychotherapeutin im TCE tätig. Als Bezugstherapeutin begleitet sie in Einzeltherapie ihre PatientInnen. Sie leitet derzeit die Fertigkeitengruppe und fördert dabei den Umgang mit Gefühlen, den Aufbau von sozialen Fertigkeiten, den Abbau von Anspannungszuständen und die Entwicklung von Achtsamkeit. Neben ihrer Teilzeittätigkeit im TCE leistet sie zuhause Familienarbeit. In ihrer Freizeit beschäftigt sie sich gerne mit ihrer Familie und ihren Freunden, sowie mit Yoga, Literatur, Filmen und Theater.